Gedanken zur Aufgabenstellung im Rahmen der Examensarbeit von Sabine Doerk, Kunst-Studentin an der Bauhaus Universität Weimar, zum Thema „Kunst als Prostitution“

 

Erst einmal sehe ich keine grundsätzliche Verknüpfung zwischen der Kunst und der Prostitution. Als Kreativ-Schaffende muss ich sagen: natürlich nicht!

 

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Sie kommt erst dann zustande, wenn der Künstler seine jeweilige Arbeit hinter die Interessen des Marktes stellt, auch hinter die von Ihnen als Beispiele genannten, auf ihn selbst bezogenen.

 

Dass er eine Marke schafft und pflegt, muss kein Widerspruch zu einem nicht-prostituierten Künstlerleben sein. Nach meiner Ansicht entsteht die Marke aus der Authentizität des Kreativen, und dadurch pflegt sie sich auch ein Stück weit selbst. Dazu gehört für mich nicht unbedingt der von Ihnen angesprochene Wiedererkennungswert, obwohl der selbstverständlich hilfreich wäre. Einen „Namen“ kann man sich auch durch Glaubwürdigkeit erwerben. Inwiefern die Marke „Künstler X“ wahrgenommen wird, ist eine andere Frage und Sache der Vermarktung.

 

Spätestens an dieser Stelle muss ich erwähnen, dass ich selbst zwischen dem alternativen und dem etablierten Kunstbetrieb und deren Begriffen strikt trenne; dazu weiter unten mehr.

 

Denn auch wenn gelten würde, dass die Authentizität gerade nicht „in“ ist für die Erschaffung einer Künstlermarke auf dem etablierten Markt, glaube ich unbedingt, dass, wenn es für den Kreativen einen einflussreichen Galeristen mit passender geschäftlicher Zielrichtung gibt, dieser Künstler selbstverständlich in den „Olymp“ aufsteigen könnte. Bei der (erfolgreichen) Vermarktung von Kunst spielen so viele Faktoren eine Rolle, dass das Eingehen darauf hier zu weit führen würde. Verständlich und ansprechend formuliert hat das z. B. Kathrein Weinhold in ihrem Buch Selbstmanagement im Kunstbetrieb, das 2005 im Bielefelder Verlag transcript erschienen ist.

 

Verallgemeinerungen funktionieren nie, und daher unterschreibe ich die Schlagworte „Gleichsetzung des Künstlers als Prostituierten der Kulturgesellschaft“ dem, der sie formuliert, so nicht. Es kommt auf die Intention des Kreativen an, welcher Titel ihm gerecht wird. Die Bandbreite wird vom reinen Hobby-Künstler, dem der Schaffensprozess an erster Stelle steht und der ein Publikum eher meidet bzw. es nur zögernd sucht bis zu dem Menschen gehen, der bekannt, berühmt werden möchte und nach dem für ihn passenden Medium sucht, sein Ziel zu erreichen. Wenn das das erklärte Ziel ist, dann können die Mittel und Wege dahin selbstverständlich diesem Ziel untergeordnet werden bzw. sind per se andere, und der Mensch wird sich auf dem Weg zu diesem End-Ziel viel eher prostituieren als jemand, dem der Schaffensprozess schon Ziel ist. Je mehr anderen Menschen oder Einflüssen man auf seinem Weg gerecht zu werden versucht, desto eher ist die Gefahr der Prostitution gegeben, neben der Kunst ja auch in allen anderen Lebensbereichen.

 

Sehr persönlich glaube ich, dass es beinahe unmöglich ist, Integrität als Kunstschaffender zu bewahren, wenn man daneben und damit noch irgendein anderes Ziel verfolgt, sei es der sehr persönliche Wunsch, Berühmtheit zu erlangen, oder der für mich sehr nachvollziehbare, eine Familie ernähren zu wollen. Einem End-Ziel ordnen sich die Mittel und Wege immer unter, und man kann, denke ich, im künstlerischen Ausdruck nur wirklich „man selbst“ bleiben, wenn das Erschaffen und - durch das Ausstellen der Arbeiten - der gesuchte Dialog mit dem Betrachter diese End-Ziele sind. Insofern glaube ich auch, dass es für Einige unter uns gar nicht wünschenswert wäre, eine bestimmte Art Erfolg zu haben. Für mich wäre dieser Erfolg ein Zufalls- oder Nebenprodukt und dürfte vor allem danach auch nicht festgehalten werden wollen, um nicht doch noch in die Gefahr zu geraten, mein eigentliches Ziel für ein neues, vielleicht im ersten Augenblick verlockendes, zu verkaufen.

 

Jetzt möchte ich noch einmal auf meine eigenen Erfahrungen und Erlebnisse eingehen. Diese haben mich zu den bereits niedergeschriebenen Denkansätzen geführt, und einen möchte ich besonders herausstreichen: die in meinen Augen unbedingt erforderliche Trennung zwischen dem alternativen und dem etablierten Kunstbetrieb. Die Definitionen sind so sehr andere! Ich greife dazu einmal eine Formulierung aus Ihrer eMail heraus, mit der Sie fragen, „was ein Künstler heutzutage anstellen muss, um als solcher anerkannt zu werden“. Ich möchte nichts „anstellen“, und vor allem möchte ich nicht müssen. Im alternativen Kunstbetrieb, dem ich mich zugehörig fühle, erkenne ich mich selber an. Ich biete, wenn ich z. B. ausstelle, nicht an, vom Betrachter „als Künstler“ anerkannt zu werden, sondern Mal-Arbeiten zum Anschauen und darauf reagieren, und das wie auch immer. Dann trennen sich die Wege zwischen meiner Arbeit und dem Betrachter wieder, und, wenn nicht sogar ein Gespräch zwischen ihm und mir stattgefunden hat, dann ist meine Motivation, weiterzumachen, der innere Dialog, der vielleicht in dem einen oder anderen angestoßen wurde. Man darf nicht „gefallen“ oder „abstoßen“ wollen, jedenfalls nicht als Selbstzweck, und das möchte ich auch nicht, obwohl sicher das eine oder andere auch gefällige Bild entstanden ist, das jetzt in irgendeiner Wohnung hängt, und von anderen Arbeiten sich vielleicht sogar schon Betrachter abgestoßen fühlten... Für mich muss ein Künstler erklären können, warum er was wie dargestellt hat, egal, was der Betrachter sieht oder deutet. Ich finde nicht, dass eine Arbeit unbedingt nur für sich stehen können muss, weil sie für irgendjemanden für sich stehen können wird.

 

Die Künstlermarke muss in sich geschlossen wirken, dann ist auch Veränderung vielleicht nicht nur erlaubt, sondern auch erwünscht, und Dinge wie Wiedererkennung stehen nicht mehr so sehr im Vordergrund. Und ich denke, dass das nur durch Glaubwürdigkeit, die innerer Haltung und nicht Schauspiel-Talent entspringt, erreicht werden kann.

 

Authentizität bewahrt den Künstler vor der Prostitution. Sie schafft eine Brücke zwischen handwerklichem Können und Darstellungen, in denen man das nicht unbedingt auf Anhieb erkennt, sie schafft auch eine Brücke zwischen dem Erschaffer und seinem Werk, egal, ob man die Arbeiten auf Anhieb dem einen oder anderen Künstler zuordnen kann - sie befreit. Diese Freiheit ist es, die die Prostitution überflüssig macht; zumindest gilt das auf dem alternativen Kunstmarkt. Inwiefern sie (die Freiheit) auf dem anderen Markt umsetzbar ist oder das auch nur gewünscht wird, ist Sache aller Angehörigen des etablierten Kunstbetriebes. Meine persönliche kürzeste Kunst-Definition, dass alles, was Kunst sein soll, auch für irgendjemanden Kunst sein kann, weil ihm durch die Arbeit eine neue Sicht der Dinge ermöglicht wird, ein Dialog angestoßen, Fragen in ihm aufgeworfen werden, wird von vielen Anhängern des etablierten Kunstbetriebes, mit denen ich mich unterhalten habe, nicht geteilt. Es ist aber für mich die einzige wahre Herangehensweise, die verhindert, dass Kunst nur einem relativ kleinen Kreis von Menschen zugängig ist, die sie angeblich nur „verstehen“ können, weil sie deren „offizielle Begriffe gelernt“ haben. Dann bleibt Kunst elitär und dient den Menschen, die sich ihrerseits ihrer be-dienen, um die Elite und alles, was mit ihr einhergeht (Macht, Einfluss, Geld, Ansehen) zu erhalten – all das führt das, was Kunst meines Erachtens in ihrer Ursprünglichkeit will, ad absurdum. Sie ist da um an- und im positiven Sinne aufzuregen, nicht um Menschen zu Statussymbolen zu verhelfen. Wenn man das, was Kunst in ihrem eigentlichen und ursprünglichen Sinn kann, vom Markt einmal komplett getrennt betrachtet, und dann beides gedanklich wieder zusammenführt, wird einem manche Perversion - und Prostitution - bewusst.

 

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Vielleicht ist es aber so, dass jede Vermarktung von der eigentlichen Sache, um die es geht oder einmal ging, wegführt, und dass es egal ist, auf welchem Forum sich das abspielt. Die größtmögliche Sicherheit, dass das nicht passiert, hat man, denke ich, wenn man alleine arbeitet, nicht nur künstlerisch, sondern auch werbe-technisch. Ich denke, das ist ganz simpel so, weil nur eine Intention, nämlich die eigene, eine Rolle spielt. Wie weit man selbst geht, weiß man, weil man selbst geht. Wohin andere mit einem wollen und deren Beweggründe liegen oft im Dunkeln, und selbst wenn man mit bester Absicht, sich treu zu bleiben, mit jemandem „mit geht“, kann es sein, dass man sich alleine durch die Gemeinschaft zu Kompromissen hinreißen lässt, die man alleine nie akzeptiert hätte, manchmal bis zur Erkenntnis, dass man sogar das Gepäck des Begleiters trägt - oder, wie es geläufiger heißt, „seinen Karren zieht“.

 

Und vielleicht muss man einfach akzeptieren, dass man mit der größtmöglichen Sicherheit, den eigenen Karren alleine ziehend, den kleinstmöglichen - äußeren! - Erfolg „einfährt“. Denn die Definitionen dieses Erfolges bestimmt man dann eben auch selbst, genau wie die Tatsache, ob man sich als Künstler begreift. Für diese Freiheit bezahlt man, wie ich finde, einen fairen Preis.

 

Aber da alles eine Sache von Definitionen ist, bleibt die Frage, ob nicht auch die Verknüpfung zwischen den beiden Begriffen „Kunst“ und „Prostitution“ nach sehr persönlichen Definitionen empfunden wird - und damit nicht be-streitbar ist. Denn ob der künstlerisch tätige Familienmensch das als „weniger Künstler sein“ empfindet, weil er vielleicht davon leben muss und eine ganz andere, unfreiere Zeiteinteilung hat, sei dahingestellt. Was ich als Unfreiheit empfinde, kann auf seine Persönlichkeit ganz anders wirken.

 

Sabine Pint, Februar 2007

 

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